Gewinner des Featurepreises 2013

Schwule dürfen kein Blut spenden – dabei klaffen große Lücken im angeblich so sicheren System.

Gutes Blut, böses Blut

von Sebastian Scholze

Die Ärztin schüttelt seufzend ihre Locken. „Solche Leute wie Sie möchte man einfach nicht haben“, sagt sie. „Schade, ich hätte es gern getan, Sie sind so gesund.“ Ich solle es bitte nicht persönlich nehmen, aber Vorschriften seien nun mal Vorschriften. Auf dem Fragebogen der Blutspendefirma Haema in Potsdam hatte ich zuvor angekreuzt, schwul zu sein. Dass es die einzige falsche Antwort war, kann die Ärztin nicht wissen – wie alle homosexuellen Männer darf ich kein Blut spenden. 

Der Schock aus den Achtzigern sitzt noch immer tief. Damals hatten sich hunderte Patienten mit HIV angesteckt, weil sie unkontrollierte, mit Viren verseuchte Blutkonserven erhalten hatten. Viele starben an AIDS. Damit sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt, sind homo- und bisexuelle Männer seit 1996 vom Spenden ausgeschlossen. Darüber wacht der Arbeitskreis Blut, in dem die Bundesärztekammer, das Robert-Koch- sowie das Paul-Ehrlich-Institut vertreten sind.

Gerade Schwule seien überproportional an den Neuansteckungen mit HIV beteiligt, wird das Verbot begründet. Vor zwei Jahren errechnete das Robert-Koch-Institut, dass Homosexuelle ein bis zu 100fach höheres Risiko tragen, sich anzustecken. Wie dieser Wert genau zustande kommt, kann jedoch keiner der Sprecher oder Wissenschaftler erklären. Im Gegenteil: Ende 2011 kann das Robert-Koch-Institut wie immer lediglich schätzen, dass sich seit Januar 2700 Menschen neu mit dem HI-Virus angesteckt haben. 2000 von ihnen sollen homosexuelle, 300 heterosexuelle Männer sein.

Dass vor dem Hintergrund verbesserter HIV-Tests der Dauerausschluss Schwuler heftig umstritten ist, weiß auch der Arbeitskreis Blut. So musste er 2010 in einer Stellungnahme zugeben, dass andere Länder genauer hinschauen. Modellrechnungen aus den USA, Kanada und Großbritannien hätten ergeben, dass „nur noch eine minimal höhere Sicherheit“ besteht, wenn man homosexuelle Männer für immer ausschließt, anstatt nur zeitweise. Von Spanien bis Australien lassen immer mehr Staaten schwule Blutspender zu, wenn diese ein Jahr lang kein Sex hatten.

In Deutschland laufen Schwulenverbände seit Jahren Sturm gegen das Verbot. Offen sprechen sie von Diskriminierung. Lars Martens und Martin Schilde haben die Interessengemeinschaft „Schwules Blut“ gegründet. Die mehr als 100 Mitglieder informieren per Webseite und persönlich über den Spenderausschluss. „Ich habe zwei Jahre lang beim Spenden verschwiegen, dass ich schwul bin“, sagt Martin Schilde. Seine Blutgruppe, 0 negativ, ist selten und sehr gefragt. Doch irgendwann hatte er das Versteckspiel satt und offenbarte sich. „Schwul zu sein ist nur ein Teil von mir“, sagt er zehn Jahre nach der Entscheidung, noch immer wütend. „Wenn Leute mich darauf reduzieren wollen, sollen sie es tun.“ Schildes Blut mag begehrt sein, doch spenden darf er nicht mehr.

Viele Schwule handeln wie der 35-Jährige. Eine Umfrage von Schwules Blut unter mehr als 1200 Homosexuellen hat ergeben, dass 53 Prozent von ihnen regelmäßig spenden. Dabei geht die Mehrheit laut eigener Angaben verantwortlich mit ihrer Sexualität um, lebt monogam oder schützt sich. Das Argument von Schwules Blut: Das Festhalten am Ausschluss ist sinnlos. Denn obwohl täglich Schwule heimlich zur Spende gingen, steige die Zahl der Infektionen per Blutspende nicht an.  In den letzten 15 Jahren wurden nur noch sechs Menschen durch eine Transfusion mit HIV angesteckt. Dabei waren drei der verantwortlichen Spender schwul, einer heterosexuell, zwei hatten Sex mit Personen aus Risikoländern.

Die Kasendorfer Volksschule in der fränkischen Provinz summt vor Menschen, die dem Aufruf des Roten Kreuzes folgen. Doch ich komme nicht mal zu einer Ärztin. „Warum haben Sie hier ein Kreuz gemacht?“, fragt mich die Helferin mit dem strengen grauen Zopf und zeigt auf Frage 31. Es ist ein alter Fragebogen, auf dem homosexuelle Männer an dieser Stelle noch mit Prostituierten, Häftlingen und Junkies in einen Risikotopf geworfen werden. Aufmerksam schauen mich blassblaue Augen an. Als ich mein angebliches Sexleben erwähne,  errötet die Endsechzigerin und schaut runter. „Das ist an sich ja nichts Schlimmes, aber beim Blutspenden geht das nicht“, murmelt sie. Sie glaubt mir, dass mein Freund und ich treu sind. „Es mag sein, dass die Regel antiquiert ist und Heterosexuelle auch Risiken eingehen, aber ich muss sie sperren“, flüstert sie, weil der Bauer am Nebentisch, die Gummistiefel voller Mist, bereits lauscht. Fast schäme ich mich, als ich durch die Menge der Menschen gehe, die spenden dürfen. Ihre Augen verfolgen mich.

Für noch mehr Sicherheit könnte ein neuer Fragebogen sorgen, bei dem nicht nach der Vorliebe für Männer oder Frauen gefragt wird, sondern nach dem persönlichen Infektionsrisiko. Bisher war es dank unpräziser Formulierungen vor allem für Heterosexuelle zu einfach, zu leugnen, dass sie riskanten Sex haben. Ein Punkt, an dem sich trotz verhärteter Fronten Befürworter und Gegner des Spenderausschlusses einig sind. Könnten Homosexuelle darauf vertrauen, fair behandelt zu werden, kämen fast eine Million zusätzliche Blutspenden pro Jahr heraus, rechnet Schwules Blut vor.

Es ist auch der Initiative zu verdanken, dass der Arbeitskreis Blut 2010 empfohlen hat, einen bundeseinheitlichen Fragebogen zu nutzen. Das Papier, das Schwule nicht mehr in eine Reihe mit Häftlingen, Prostituierten und Junkies stellt, gibt es schon. Doch nicht nur in Kasendorf ist weiter die alte Version im Umlauf. „Vor allem ältere Dauerspender lehnen es ab, so genau gefragt zu werden“, erklärt Friedrich-Ernst Düppe, der Sprecher der Blutspendedienste beim Roten Kreuzes. So lautet die neue Frage 16 „Hatten Sie in den letzten vier Monaten ungeschützten Intimkontakt (vaginal, oral oder anal ohne Kondom) mit einem neuen Partner?“ Düppe kennt heftige Reaktionen der alten Spendergeneration, die sich allein der Frage wegen in ihrer Ehre verletzt sehen: „Sie macht rund 70 Prozent unserer jährlichen Blutspenden aus. Wir können uns nicht erlauben, sie zu verlieren.“ Beim Test des Arbeitskreises Blut mit Tausenden Beteiligten hingegen waren „Spenderakzeptanz und Praxistauglichkeit sehr hoch“. Ob und wann der neue Bogen eingeführt wird, ist unklar.

In Potsdam hatte mir nach meiner Geschichte vom langjährigen Freund die Ärztin einen Tipp gegeben. „Bei uns sind sie jetzt für immer gesperrt“, sagt sie und schaut verschwörerisch, ob jemand zuhört. „Aber wenn sie woanders hingehen, wissen Sie ja, wie Sie antworten müssen“, sagt sie lächelnd und streicht mir über den Rücken.  

Und tatsächlich: Einen Datenaustausch zwischen den Blutspendediensten gibt es nicht -  nicht mal innerhalb des Roten Kreuzes. Eine Fahrt von wenigen Kilometern reicht deswegen schon aus. Beantwortet ein Abgelehnter die kritische Frage – auch ein Urlaub in exotischen Ländern kann zu einer zeitweisen Sperre führen – beim nächsten Spendedienst anders, wird sein Blut angenommen. Das Risiko aber bleibt. Die Erfassung aller Spender in einer Computerdatei könnte Abhilfe schaffen. „Aber die Datenschützer sind dagegen“, sagt Friedrich-Ernst Düppe. „Weil auch unsere Spender nicht willig sind, werden wir keine Kartei einrichten.“ Datenschutz geht vor Gesundheit.  

Hoffnung bringt eine neue Behandlungsmethode. Dank der Pathogen-Inaktivierung könnten HI- und Hepatitis-Viren in Blutspenden zuverlässig abgetötet werden. Durch diesen Zusatzschutz könnte man Risikogruppen wie die Homosexuellen zur Spende zulassen. Doch noch ist das Verfahren nicht ausgereift.

Sebastian Scholze war Volontär bei der "Märkischen Allgemeine" als er das Feature im Oktober 2012 im Seminar in Kulmbach schrieb.